Barbara Kleditzsch

Barbara Kleditzsch


Konflikte verstehen und lösen – mit wertschätzendem Zugang

Konflikte als Störung? Ein häufiger Denkfehler

Konflikte werden im Alltag regelmäßig als Störfaktoren empfunden. Meist werden Schuld und Fehler bei „den anderen“ gesucht und es entsteht eine resignierende Haltung: „So ist es eben, die anderen sollen sich ändern oder wir kriegen das nicht anders hin.“ Durch diese Haltung wird keine Konfliktlösung gesucht  und viele lassen sich von ihren Konflikten ein- und „gefangenen“ nehmen.

In meiner täglichen Arbeit in der Beratung, Training und Supervision erlebe ich das häufig. Doch gerade solche Situationen bieten eine Chance, genauer hinzusehen, wie auch das folgende Beispiel aus meiner Beratungspraxis zeigt.

Konfliktmanagement

Fallbeispiel: Ein Kompetenzmodell als Auslöser

Wir bekamen von unserem Kunden einen Beratungsauftrag zur Einführung eines Kompetenzmodells zur Unterstützung der Entwicklung und Übernahme neuer Aufgaben. Der Pilot in diesem Bereich war erfolgreich abgeschlossen, die ersten Ergebnisse präsentiert und im nächsten Schritt sollte es um das Ausrollen auf alle weiteren Abteilungen gehen. In der Ausrollphase ging es darum, dass sich die Abteilungen während der Implementierungsphase gegenseitig durch konstruktives und entwicklungsorientiertes Feedback unterstützen sollten – mit dem Zweck, entwicklungsorientierte WIR-Feedbacks als Instrument einzuführen, um die Kompetenzen der Mitarbeitenden und der Führungskräfte stärker und bewusster einzusetzen sowie weiterzuentwickeln.

Plötzliche Blockade – der unterschätzte Konflikt

Zwei der wichtigsten Abteilungen bzw. Abteilungsleitenden in diesem Prozess lehnten diesen Vorschlag ab und verweigerten sich der weiteren Zusammenarbeit. Das war für alle an diesem Prozess Beteiligten zunächst sehr unverständlich und löste eine große Unruhe aus. Mir war jedoch wichtig, auf keinen Fall vorschnell zu verurteilen, sondern ein Verständnis für die Sichtweisen und Wahrnehmungen der jeweiligen Seite zu entwickeln. Dies hat mir einen Freiraum geschaffen, in dem ich für mich die Chance sah, einen Zugang zu beiden Personen zu bekommen.

Jetzt begann für mich die Arbeit, diese Chance nicht zu verpassen und möglichst konstruktiv an das Thema zu gehen. Ich habe mich zu diesem Zeitpunkt entschieden, den Gesamtprozess zu pausieren. Zunächst musste ich ins Gespräch gehen. Es waren viele und erstmal mühsame Gespräche. Die Geschäftsführung sagte, es muss schnell weitergehen; die einzelnen Abteilungsleitenden hatten verschiedene Argumente, um nicht über die Verweigerung zu sprechen. Also keine guten Voraussetzungen, um den Konflikt zu anzugehen.

Aber ich habe mich nicht verunsichern lassen, weil ich genau wusste: Wenn dieser Konflikt nicht angesprochen und verstanden wird, wird der ganze Prozess scheitern. Leider werden solche Hürden oft übersehen, verharmlost oder als kindisches Verhalten abgetan. In Wirklichkeit würde das Scheitern des Prozesses aber einen enormen wirtschaftlichen und sozialen Schaden verursachen.

Hinter dem Widerstand liegt der eigentliche Konflikt

Nach den ersten Einzelgesprächen mit beiden beteiligten Abteilungsleitenden war mir klar, hier geht es um viel mehr, als … „ich will mit Dir nicht zusammenarbeiten“. Beide fühlten sich bedroht, nicht verstanden und sehr verletzt. Der Konflikt bestand bereits seit fünf Jahren zwischen ihnen und wurde als „kalter“ Konflikt ausgetragen. So sprachen die Beteiligten kein Wort mehr miteinander und schotteten sich sowie ihre Abteilungen schrittweise voneinander ab.

Für mich war die einzige Lösung: beide brauchen Wertschätzung, Verständnis und Respekt. Mir war klar, dass diese Verletzungen mit den Bedürfnissen der einzelnen Personen zusammenhängen und nur ein konstruktiver Blick auf die Bedürfnisse diesen Konflikt bewegen kann. Hier war für mich sichtbar geworden, was es bedeutet, wenn die Konflikte uns festhalten und keine Bewegung mehr möglich ist. Nach mehreren Einzelgesprächen war wenigstens ein Schritt erreicht, nämlich ein gegenseitiges Verständnis, um sich zu Dritt zu treffen und zumindest ein moderiertes Gespräch zuzulassen. Damit war ein wichtiger Schritt, um Bewegung in den Konflikt zu bringen, getan.

Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg

Die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) ist ein Kommunikations- und Konfliktlösungsmodell, das auf Empathie, Wertschätzung und Verständigung basiert. Ihr Ziel ist es, Gespräche so zu gestalten, dass die Bedürfnisse aller Beteiligten gehört und berücksichtigt werden können – ohne Vorwürfe, Schuldzuweisungen oder Bewertungen.

 

Die vier Schritte der GFK sind:

1. Die Situation aus meiner Sicht… (Wahrnehmung)

2. Wie es mir dabei geht… (Betroffenheit im Gefühl)

3. Was ich eigentlich will… (tieferliegendes Bedürfnis)

4. Was ich jetzt vereinbaren möchte… (Handlungsansatz)

Der Weg zur Klärung – ein erster Durchbruch

Zu Beginn des Gesprächs haben die beiden Personen mit meiner Unterstützung Regeln aufgestellt, die sie beachten wollten. Dann habe ich die Moderation übernommen und sie Schritt für Schritt anhand der Gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg in ihrem Anliegen begleitet. Beide Gesprächsbeteiligte äußerten ähnliche Gefühle zur Situation, was beide sehr betroffen machte. Sie dachten über viele Jahre, dass sie jeweils allein so betroffen sind und die andere Person das alles nicht wahrnimmt oder gar ignoriert. Zu Beginn des Gesprächs war für beide klar, die andere Person sei schuld und solle sich entschuldigen. Doch dann wurden die Bedürfnisse geäußert und es wurde deutlich, dass Sicherheit, Wertschätzung und Anerkennung der eigenen Kompetenzen gewünscht wird. Die Gründe der Bedürfnisse waren unterschiedlich, dennoch das ausgesprochene Anliegen sehr ähnlich. An der Stelle zeigte sich ein tiefes Gefühl vom Scham und gegenseitigem Verständnis für die Situation.

Das erste Gespräch zu Dritt endete mit einer klaren Bitte – wir wünschen uns ein weiteres Gespräch und sind bereit weiter an der Klärung des Konfliktes zu arbeiten.

Ich war sehr erleichtert und auch stolz, dass ich meinem Impuls, Freiräume zu schaffen und dem vorhandenen Konflikt Raum geben zu müssen, nachgegangen bin. Diese Arbeit hat sich sehr gelohnt. Das hat uns zwar ein wenig Verzögerung des Gesamtprojektes gekostet, aber beiden Abteilungsleitenden einen neuen Blick auf die Konfliktwelt und viele Denkanstöße zur Weiterentwicklung gebracht. Auch dem Unternehmen hat dieser Schritt viel interne Kosten sowie unproduktive Zeiten gespart – und einen Anstoß gegeben, Konflikte wahrzunehmen und aktiv zu klären.

Gewaltfreie Kommunikation

Der Mut zur Konfliktklärung lohnt sich

Dieser Fall hat mir erneut gezeigt, wie wichtig es ist, innezuhalten und Konflikten den nötigen Raum zu geben. Oft kostet es Überwindung, vermeintliche Hindernisse ernst zu nehmen, statt sie schnell beiseitezuschieben. Doch genau das zahlt sich aus: In diesem Beispiel wurde nicht nur der Projektverlauf gerettet – es entstand auch ein neuer Umgang miteinander, der langfristig produktiver und gesünder für alle Beteiligten ist.

Konflikte sind kein Zeichen von Schwäche, sondern von Entwicklung. Mit einer wertschätzenden Haltung und Werkzeugen wie der Gewaltfreien Kommunikation können wir lernen, Konflikte als Chance für Verständigung, Wachstum und Veränderung zu nutzen – im Unternehmen, im Team und im persönlichen Alltag.